Gedanken zum Gedicht "Wenn es nur einmal so ganz stille wäre..."

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Auch Gedichte drücken "es" - erstaunlicherweise aus. Vielleicht nicht mit christlichen Worten und Begriffen, aber doch in wunderbarer lyrischer Weise. Es gibt schöne - man könnte sagen spirituelle - Gedichte von Eichendorff, Mörike, Rilke, Kabir, Tagore... Bachmann... 


Zunächst geht es um die Stille, die der Mensch, der in diesem Gedicht spricht, sucht - und nicht so leicht findet. Er sucht sie zunächst, um wach zu sein, und dann um ein "dich" zu Denken, ein "Dich" zu besitzen und das "Dich" zu verschenken an alles Leben. Dieses "dich", das Rilke anspricht, könnte man, christlich ausgedrückt, als Gott bezeichnen, der im Christentum oft als Du, als Gegenüber, als Vater, als eine Art Person gesehen wird. 
(Interessant ist, dass in dem Gedicht - ohne das zu benennen - Eigenschaften von Meditation beschrieben werden. Gott, also das Du, das"Dich", kann ich möglicherweise erfahren, wenn es ganz still ist. An der Stille hindern mich die äußeren Geräusche und die inneren Geräusche, also das Denken, die Gefühle, das Geräusch, das meine Sinne machen.) 


Zeile für Zeile:

  1. Wenn es nur einmal so ganz stille wäre...
    Am Anfang steht ein Wunsch, ein Sehnen, eine Sehnsucht....
    Unser Kurs steht unter dem Thema: "Ruhe suchen - Stille finden"
    Ach - wenn doch nur einmal Ruhe wäre ..
    Ach - wenn doch einmal Friede wäre...
    Ach - wenn doch einmal Entspannung wäre...
    Ach - wenn doch einmal eine Lösung wäre...
    Solche Sätze kennt jeder, ein Ausruf, ein Wunsch.

  2. Was steht dem im Wege?
    Das Zufällige...
    Das Ungefähre...
    Vielleicht meint der Dichter damit die zufälligen Einfälle, was so einfach immer wieder in unseren Sinn kommt, was uns sozusagen"zu-fällt", von irgendwo her, die Gedanken, die Gefühle, die Erinnerungen, die in uns einfallen, die aus uns auftauchen... 
    Das Ungefähre: manchmal merken wir gar nicht genau, was es ist, was uns bewegt, was uns umtreibt, auch beim Spüren können wir oft nicht genau sagen, was es ist. Und das ist manchmal gar nicht so einfach, das wahrzunehmen. Es ist diffus, es ist noch nicht klar. 
    Und trotzdem, gerade auch das Ungefähre kann uns abhalten. Und auch das, auch wenn wir es nicht genau kennen oder wissen, sollen wir gehen lassen. 

  3. "Das nachbarliche Lachen...." das ist auch die tickende Uhr (für Johannes Heiner: im Raum, in dem wir üben, hängt eine tickende Wanduhr, die natürlich niemand bemerkt, nur wenn dann Stille ist, dann hört sie jeder...), das Geräusch der sprechenden Menschen vor der Tür, die Schritte auf dem Stein-Boden, die Musik im Nachbarhaus, das Rauschen der Heizung, wir kennen das gut... 

  4. "Das Geräusch, das meine Sinne machen"
    Wir haben fünf Sinne, vier davon sind im Kopf angesiedelt: das Sehen, das Hören, das Riechen, das Schmecken. Dann noch das Tasten. Diese Sinne machen "Geräusche" - ein interessanter Ausdruck. Das Sehen macht ein Geräusch. Das Wort Geräusch bezieht sich auch wieder auf "die Stille" in der ersten Zeile. Die Sinne stören die Stille. Das Sehen, das Hören, das Riechen .... stört die Stille. 
    (Hartmut würde noch für Johannes einfügen: für mich ist da ein Widerspruch: auf der einen Seite leite ich an zum "Spüren" und dazu, die Sinne zu gebrauchen, und dann sage ich, die Sinne machen "Lärm", "Geräusch", sie sind störend.) 

  5. Dies alles stört mich am Wachen. Ich würde sagen, ich kann nicht wirklich wach sein, wenn ich von meinen Sinnen, vom Geräusch meiner Sinne belegt bin. Wenn dauernd etwas Zufälliges in uns einfällt. 

Das Wach-sein ist die Voraussetzung zu einer Gottes-Erfahrung. Und wenn äußere, und dann innere Stille da ist, dann kann ich Gott denken, ich würde vielleicht sagen: Gott "erfahren", vielleicht einen Moment lang"besitzen" (Ich mag das Wort "besitzen" nicht, weil es eigentlich nicht stimmt, der Mensch kann Gott nicht besitzen - aber ich achte die Wortwahl des Dichters). 

Dieses Besitzen ist mit einem Lächeln verbunden, man könnte sagen, mit einem Gefühl von Glück, von Glückseligkeit. Und wie man von Erleuchteten weiß, ist dieser Augenblick meist nur kurz. Der Dichter (und die Erleuchteten, von denen berichtet wird) wollen diese Erfahrung nicht für sich behalten, sondern sie dem Leben schenken, ins Leben gehen damit, es allen verschenken in Freude und Liebe. Pater Willigis sagt, die Erfahrung Gottes, die Erfahrung der Einheit, ist nicht Selbstzweck, sondern sie ist der Weg in den Alltag, der Weg zu den Menschen. 

Gedanken von Hartmut Baur 




Lieber Hartmut,

hier also meine Ergänzung zu Deinen schönen und berührenden Worten. Sie kommt mehr aus meinem Wissen über die Figur des (russischen) Mönchs, dem Rilke ja den ersten Teil des "Stundenbuchs" in den Mund gelegt hat. Und da siehst Du schon, dass es Sinn macht, dies zu wissen: es ist ein inbrünstig Suchender, der hier spricht. Er würde gerne noch viel weiter über sich hinaus gehen. Er würde gerne - Gott richtig nahe sein. Rilke spricht zwar von "Gedanken" und sogar noch in einer potenzierten Form des "tausendfachen Gedankens"; aber man kann getrost das Fühlen an die Stelle des Denkens setzen. Es geht dem Mönch darum, eine gefühlsmäßige Nähe zu Gott herzustellen
Von hier aus gesehen, versteht man auch die Aussage besser, dass die Aktivitäten der Sinne der Erfahrung der vollkommenen Stille "im Weg"stehen. Die Sehnsucht des Mönchs ist eine pfingstlich brennende. Sie duldet werder Aufschub noch Trennung noch Ablenkung und Zerstreuung.
So viel für Jetzt. Ich werde gerufen, den Käse für das Mittagessen zu reiben.

Grüße von Johannes