1,12 „Heil dem Geist, der uns“

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Es ist nicht einfach, sich mit diesem Text zu verbinden – obwohl er ja das „Sich Verbinden“ zum Thema macht. Die Bilder leuchten nicht gleich ein und die Aussage bleibt dunkel.

Es gibt also ein geheimes Leben, das von der Mechanik des Ablaufs im Alltag nicht erfasst wird. Die „Uhren“ stehen dafür, während die „Figuren“ für das andere Leben, den „eigentlichen Tag“ stehen. Das klingt sehr geheimnisvoll – man darf als Leser gespannt sein, wie der Dichter diesen Gegensatz weiter entwickeln wird.

Der Dichter spricht von der orphischen Existenz der Poesie. Der Name „Orpheus“ fällt nicht, aber es ist klar, dass der Gott als Energie präsent ist. Mit dem „wirklichen Bezug“ in Vers 6 spielt Rilke darauf an. Das erste Terzett entfaltet den Pol „orphische Existenz“ und das zweite Terzett schließt den Kontrast mit dem Bauern ab. Der Bauer müht sich Tag und Nacht mit seinem Acker. Doch die Erde ist es, welche die Früchte hervorbringt.

Das Ineinander von „Arbeit“ und „Gnade“ entpuppt sich am Schluss als das eigentliche Thema. Der Mensch denkt, Gott lenkt, lautet ein alter Spruch. Es wird dem Bauern, Handwerker, Künstler Einiges abverlangt. Er sollte offen bleiben für das Wirken der höheren Kräfte in seiner täglichen Arbeit. Bescheidenheit ist angesagt und nicht, dass der Mensch sich auf seine Leistungen etwas einbilde, das ihn von der Sphäre der orphischen Existenz abtrennen würde.

Ich gebe zu, dass ich das Gefühl habe, den Text wenig zu verstehen. Es mag sein, dass ich ihn mit meinem Kommentar in eine bestimmte Richtung gedrängt habe, die m i r plausibel erscheint. Aber eigentlich wirkt er als sehr in sich versponnen und wenig zugänglich. Der zitierte Bauer würde sich die Ohren reiben, bekäme er dieses Sonett zu hören!

 

© Johannes Heiner, November 2012

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