Else Kornis - Dichterin der Begegnung

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24.1.1889 in Prag - 18.12.1983 in Ottmaring


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1. Vorbesinnung

Sollte ich mit einem Satz sagen, wer Else Kornis gewesen ist, würde ich nicht darauf abheben, dass sie eine Dichterin war und auch nicht darauf, dass sie viel erlebt hat und sehr alt geworden ist. Ich würde vielmehr sagen: Else Kornis ist ein Mensch gewesen. Sie war Mädchen, Hausfrau, Mutter von drei Kindern, Arbeiterin, Angestellte. Nach Ottmaring kam sie als Greisin von 89 Jahren. Sie hat also viele Rollen ausgefüllt, aber am wichtigsten ist, dass sie in einer Zeit der Unmenschlichkeit, in der sich die Blöcke des Nazismus und Kommunismus gegenüberstanden und vernichteten, Mensch geblieben ist. Sie hat mit ihren Gedichten diesem ihrem Menschsein Stimme verliehen. 

Ihre Stimme ist stark, man hört sie gut; sie ist bescheiden, man freut sich an ihrer Einfachheit; ist tief, weil sie das Leben in seiner Ganzheit erfasst hat; sie vermeidet gern das allzu Ernste und spricht mit einem Unterton von Humor.

Hätte sie nicht geschrieben, könnten wir sie heute nicht hören und auch nicht ehren. Sie ist vor 25 Jahren in Ottmaring mit fast 95 Jahren gestorben. Das Dichten war ihre Begabung. Sie hat dieses Licht auf den Scheffel gestellt und es bis an das Ende ihrer Tage sorgsam gepflegt. 

Heute leuchtet dieses Licht und stellt eine Quelle der Inspiration und der Begegnung mit dem Osten dar. Jede künstlerische Begabung, die gelebt wird, kann zu einem solchen Licht werden. Else Kornis macht uns Mut, unserer eigenen künstlerischen Begabung zu folgen.

2. Der Lebenslauf

Else Kornis entstammte einer deutschsprachigen jüdischen Kaufmannsfamilie. Sie wurde am 24.1.1889 in Prag geboren. Sie besuchte die Realschule und die Handelsschule. Sie schloss ihre Schullaufbahn mit der Gesellensprüfung als Modistin ab.

"Auch heute seh ich mir hin und wieder lächelnd mein von der Stadt Prag in tschechischer Sprache ausgestelltes Gesellendiplom an," schrieb sie in ihrem Erinnerungsbuch an Prag.1 An dieser Äußerung ist zu bemerken, dass sie keineswegs abschätzig gegenüber der tschechischen Sprache eingestellt ist. Sie sprach Tschechisch, Ungarisch und Rumänisch. Sie sollte ihre ersten Schritte zur Dichterin viel Jahre später als Übersetzerin aus diesen Sprachen ins Deutsche tun.

Sie zählte zur Generation nach Rainer Maria Rilke, der 1877, zwölf Jahre vor ihr, in Prag geboren wurde.2 Auch mit Franz Kafka, 1883 geboren, war sie vertraut. Kafka war sechs Jahre älter als sie. Sie erzählt, wie sie bei einer Lesungen von "Die Verwandlung" dabei war.Mit Franz Werfel hat sie im Sandkasten gespielt. Er war ein Jahr jünger als sie. Doch zwischen Kafka, Rilke, Werfel und ihr bestand ein großer Unterschied. Während sie als junges Mädchen noch im Schutz der bürgerlichen Konvention lebte, hatten Rilke, Kafka und Werfel längst mit der Konvention gebrochen und Neuland betreten. Der "Prager Kreis" um Franz Werfel lebte in einer Art Aufbruchstimmung. Man fühlte sich der Jugend zugehörig und es war in diesem Kreis gleichgültig, ob man deutscher, tschechischer oder jüdischer Herkunft war.

Ein gutes Beispiel für diese neue Offenheit und Toleranz stellt neben Else Kornis Milena dar. Sie war die Tochter eines bekannten tschechischen Arztes, verkehrte in deutsch-jüdischen Kreisen und sollte später in den Zwanziger Jahren die Erzählungen von Kafka ins Tschechische übersetzen. Else Kornis erzählt in ihrem Erinnerungsbuche von Milena und man ist beeindruckt von der Natürlichkeit dieser extravaganten Frau.4

Else Kornis heiratete mit 24 Jahren nach Temesvar (Ungarn, Banat), bekam zwei Jungen und eine Tochter, und führte das übliche Eheleben im Kreis ihrer Familie. In Temesvar lernte sie den Dichter Franz Xaver Kappus kennen, der durch Rilkes "Briefe an einen jungen Dichter" in Erinnerung geblieben ist. Kappus öffnete ihr den Zugang zur deutschsprachigen Zeitung. Hören wir sie selbst erzählen:

"Auf der ersten Seite der Sonntagsnummer der "Temesvarer Zeitung" erschien meine erste Veröffentlichung. Nichts übertraf dieses Glück! Es war die Übersetzung des ungarischen Dichters Ady Endre "Vetter Tod". Später brachte das Blatt meine Gedichte, noch später erschienen Gedichtbände, aber das war in Bukarest."

Sie fing das Schreiben von eigenen poetischen Texten mit etwa dreißig Jahren an. Die ersten von ihr datierten Gedichten stammen aus dem Jahr 1922. Das letzte Gedicht stammt vom Oktober 1983. Sie hat ihre Texte in ein großes Buch eingetragen und bei Gelegenheit in die Schreibmaschine getippt.

1933 starb ihr Mann. Sie war damit beschäftigt, das Überleben ihrer Kinder in Temesvar zu sichern. Sie lebte unauffällig und hielt sich von politischen Demonstrationen fern. Als man in der Zeit der Judenverfolgung 1941 und 1942 ihre Söhne verhaftete und in Arbeitslager deportierte, konnte sie in ihrer Wohnung bleiben. Man verfolgte in erster Linie linksgerichtete Juden, die als "Kommunisten" verdächtigt wurden.

Nach dem Krieg übersiedelte sie zusammen mit ihren Söhnen nach Bukarest. Sie fand freundliche Aufnahme in der deutsche Sektion des rumänischen Schriftstellerverbandes und wurde vom Unterrichtsministerium damit beauftragt, Schulbücher für die deutschsprachigen Kinder zu verfassen. Sie übersetzte die linientreuen tschechischen, ungarischen und rumänischen Autoren ins Deutsche. In den zwei Jahren dieser Anstellung führte sie ein privilegiertes Leben. Man brauchte sie, weil sie sich nicht mit den Nazis kompromittiert hatte. Es folgte die Veröffentlichung von vielen Bücher, die sie zum Teil mit anderen Autorinnen für Kinder geschrieben hat. Sie gab mehrere Bände mit ihren eigenen Gedichten heraus.

"Jahre kommen, Jahre gehen" erschien 1964 im Bukarester Literatur-Verlag. Der zweite Band heißt "Feierabend. Gedichte" und erschien drei Jahre später im selben Verlag. Die Liste ihrer Veröffentlichungen ist umfangreicher, als ich es hier darstellen kann.

Nach und nach reisten ihre Kinder aus Rumänien aus. Else Kornis wollte nicht allein in Bukarest zurückbleiben. Deshalb besuchte sie 1975 ihre Tochter, die in New York arbeitete. Diese Ausreise kam einer Flucht aus dem kommunistischen Land gleich. Else Kornis war 85 Jahr alt. Sie durfte 19 Kilogramm Gepäck mitnehmen. Als das Tourismusvisa nach drei Jahren abgelaufen war, suchte man einen deutschsprachigen Ort, wo man sie aufnehmen würde. Der Notruf erreichte Ottmaring und man beschloss, sie aufzunehmen. So kam es, dass sie ihre letzten sechs Lebensjahre (1978 - 1983) in Ottmaring verbrachte. Sie starb am 18.12.1983 kurz vor ihrem 95. Geburtstag.

In Ottmaring entspannte sie sich zusehends und fand zu guter Letzt noch eine Heimat. "Die Mutter" wurde sie genannt und sie war allseits beliebt. Sie wurde von jungen Mädchen betreut, die in Ottmaring eine Lebensschule absolvierten. Sie war sehr dankbar, dass sie ihren Lebensabend in Ottmaring verbringen durfte. Ihre hohen Geburtstage, der 90., 91., 92., 93. und 94, dieser besonders, wurden von der Geschäftsführung des Begegnungszentrums mit der Herausgabe von Gedichtbänden bedacht.

Es handelte sich um die Sammlungen

 

3. Charakteristik

Else Kornis war, was man einen grundanständigen Menschen nennt. Sie war bestrebt, ihr Denken und Schreiben in Übereinstimmung mit ihrem Handeln zu bringen. Das mitmenschliche Tun war ihr wichtiger als die Gesinnung. Sie fand sich auch in schwierigen Verhältnissen zurecht. Sie beklagte sich nie. Sie kannte keinen Streit. Aber sie bestand auf ihrer eigenen Meinung und erwartete, dass man sie als Persönlichkeit respektierte. Sie hatte viel erlebt und geizte nicht mit Erzählungen aus der Vergangenheit. Sie wurde "die Mutter" und auch einfach "Mutti" genannt und fand das Vertrauen der jungen Mädchen, von denen sie im Ottmaring betreut wurde.

4. Literarische Einordnung

 

Else Kornis gehörte in ihrer Jugend dem "Prager Kreis" um Franz Werfel an. Sie entdeckte ihre dichterische Ader aber erst nach dem Ersten Weltkrieg. Von etwa 1922 an schrieb sie ihre wichtigsten Gedanken und Erfahrungen auf. Noch als Neunzigjährige hat sie mit schon zitternde Hand neue Gedichte geschrieben.

Die Gedichte der Neunzigjährigen sind kürzer und einfacher als die früheren Texte bis 1975 gehalten. Sie sind auf Anhieb für Jedermann verständlich, was in der modernen Lyrik ein Glücksfall ist. Ihre Gedichte weisen Rainer Maria Rilke als ihren Schreibmeister aus. Sie hat viele Wendungen von Rilke übernommen. Doch ihre Lebensstimmung ist viel positiver als die von Rilke. 

Ich danke Elfriede Waha, ehemals Geschäftsführerin des Begegnungszentrums Ottmaring für das Überlassen der Lebenszeugnisse von Else Kornis. Ich danke Herrn Geza Kornis für das lange Gespräch über seine Mutter. 

Es wäre zu wünschen, dass die späten Gedichte von Else Kornis in einem Buch versammelt und neu herausgegeben würden. Besonderen Anklang finden die mit einfachen Strichen illustrierten Gedichte der Broschüre "Erinnerungen" von 1982. 

Im Internet kann man alte Kinderbücher und Gedichtsammlungen von Else Kornis finden. Im Begegnungszentrum Ottmaring ist der Band "Tagebuchblätter"5 vorrätig. 

© Dr. Johannes Heiner, November 2008



1) Else Kornis, Kindheit und Jugend in Prag. Erinnerungen. Sozialistische Republik Rumänien: Kriterion-Verlag 1972, S.87
2) "Ich habe Rilke nicht persönlich gekannt, aber viele seiner Gedichte, ich habe ihn oft gesehen den Einsamen, den unendlich Menschenscheuen." op.cit. S.90
3) "Die Lesung (von Kafkas "Verwandlung") findet ohne alle Feierlichkeit in einem kleinen Extrazimmer des Café Stefan statt." op.cit. S.108
4) Die Begegnung mit der "schönen und interessanten Tschechin" wird S. 116 ff. geschildert. Milena Jesenská wird in den zwanziger Jahren die Erzählungen von Kafka ins Tschechische übertragen. Sie wird sich politisch und publizistisch gegen rechts engagieren, von den Nazis bei der Besetzung von Prag verhaftet und ins KZ Ravensbrück verschleppt werden, wo sie 1944 zu Tode kommt. Siehe das wunderbare Buch von Margarete Buber-Neumann: Milena. Kafkas Freundin. Fischer-Taschenbuch.
5) Else Kornis, Tagebuchblätter. Friedberg / Ottmaring 1981, 63 Seiten mit späten Gedichten.