Narziss und Goldmund - 3. Deutungen: Goldmund und die Kunst

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Eine Betrachtung über die Bedeutungen, die das Kunstschaffen im Leben eines Menschen annehmen kann.

"Kein Mensch beginnt zu sein, bevor er nicht eine Vision empfangen hat."
(Indianische Weisheit)

Mit seinem "Roman" "Narziss und Goldmund" hat Hesse die "Seelenbiographie" von Goldmund und von Narziss geschrieben. Der Werdegang von Goldmund steht im Vordergrund. Er wird ausführlicher erzählt und sticht dadurch ins Auge. Die Geschichte von Narziss wird mehr angedeutet. Immerhin ist Narziss mehr als eine Kontrastfigur, vom Erzähler geschaffen, um die Hauptfigur besser auszuleuchten. Er stellt eine andere Möglichkeit des Menschseins dar, die der Gottzugewandtheit und Askese. Am Ende des Romans erkennen beide Freunde, als sie sich noch einmal nahe kommen, dass die "Möglichkeit Goldmund" und die "Möglichkeit Narziss" gleichwertige Lebensentwürfe darstellen und dass es nicht darum gehen kann, sie gegeneinander auszuspielen. 

Die "Möglichkeit Goldmund" ist für sich genommen von doppelter Art. Goldmund bricht aus der menschlichen Ordnung aus und ergibt sich dem Wandertrieb als Umherziehender. Aus dem Vagantentum Goldmunds geht sein Künstlertum erst hervor. Der Drang zur Gestaltung der inneren Bilder wird so stark, dass er gar nicht anders kann, als das Zeichnen anzufangen. Doch diese Möglichkeit als Künstler ist mit dem Vagantentum nicht notwendig verbunden. Nicht aus jedem Fahrenden geht ein Artist oder Künstler hervor. Und nicht jeder Künstler muss zum Pilger werden, um den Auftrag des Selbst zu empfangen.1

Es scheint mir wichtig, diese Unterscheidungen zu treffen, weil sie den Rahmen für die Geschichte von Goldmund abstecken. Goldmund wird zum Künstler. Aber er hängt nicht daran fest. Er ist bereit, sein Künstlertum an den Nagel zu hängen, wenn der Ruf des Lebens an ihn es erfordern sollte. Er unterscheidet sich darin von Künstlern, die auf ihre Identität als Künstler versessen sind und meinen, dass es das höchste Glück auf Erden darstellen würde, künstlerisch tätig zu sein. Auch dieser Aspekt der relativen Gelöstheit vom Kunstschaffen, die Goldmund im Alter erreicht, gehört zu den Rahmenbedingungen der Erzählung.

Was verspreche ich mir davon, die Entwicklung Goldmunds zum Künstler nachzuzeichnen? Die Seminargespräche2 wirken nach. Die Beiträge waren sehr intensiv und vielfältig. Es spielt sicher auch ein Rolle, dass ich mich nur schwer vom Roman trenne. Ich habe mir eine Aufgabe gestellt, die es mir erlaubt, eine weitere Woche mit dem Roman zu leben. Dabei habe ich zu meiner Überraschung festgestellt, dass es noch immer Details gibt, die mir nicht gewärtig waren. Schließlich denke ich, dass mich diese Fragen auch in Bezug auf mich selber beschäftigen. Ich verspreche mir von dieser Arbeit, mich selbst und andere Künstler besser zu verstehen.

Es sind drei Fragen, denen ich nachgehen möchte:

  1. Wie wird Goldmund zum Künstler? Es ist Anlage und Begabung? Ist es aus Berufung? Wird er von außen beauftragt und findet hinein?
  2. Wie stellt er es an, das künstlerische Können zu erwerben, das er braucht, um Kunstwerke herzustellen?
  3. Besteht er vor seinen eigenen Werken? Schafft er es, sie so zu gestalten, dass er wirklich zufrieden damit ist?

 

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