Handreichung für Steppenwölfe und Berghexen - 1. Die Handlung

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"Wie kannst du sagen, du habest dir mit dem Leben Mühe gegeben, wenn du nicht einmal tanzen willst?" (Hermine an Harry Haller) 


Harry Haller ist achtundvierzig Jahre alt, als er seine Aufzeichnungen beginnt. Von Beruf Schriftsteller und Kritiker, ist ihm die geistige Welt geläufig und vertraut. Er zieht sich gerne auf „Mozart“ und „Goethe“ zurück, wenn er unter der miesen Wirklichkeit um sich herum und in sich leidet. Er spielt die von ihm später „die Unsterblichen“ genannten Größen der geistigen Welt gerne gegen diese Wirklichkeit der Gesellschaft aus. Zugleich ist er von der kleinbürgerlich Ordnung heimelig angetan und bewundert sie. 

Harry Haller ist ein sehr fortschrittlich eingestellter Intellektueller. Er hasst den Krieg, aber auch die „amerikanischen“ Vergnügungen wie das Tanzen und den Jazz. Sein Leiden unter der von ihm abgelehnten Wirklichkeit ist groß. Mit seinen vielen Widersprüchen kommt er nicht klar. Er entscheidet deshalb, sich bei seinem 50. Geburtstag umzubringen, sollte das Leiden andauern. Dieser Entschluss bringt eine gewisse Intensivierung in sein Leben. Er fängt an, sich nach dem „Magischen Theater – Nur für Verrückte“ umzusehen, d.h. sich für Dinge zu interessieren, die er sonst abgelehnt hat. 

Der Besuch bei einem alten Bekannten konfrontiert ihn mit seinem Goethe-Bild. Er regt sich maßlos über das Goethe-Bildnis im Salon der Professors und seiner Frau auf. Seine Reaktion auf das Bild ist deshalb so heftig, weil das Bildnis ihm Dinge vorführt, die er an sich selbst abgelehnt hat, das Streben nämlich nach Erfolg und Anerkennung. Das Erlebnis verfolgt ihn bis in den Traum. Er kann Goethe aber nicht davon überzeugen, dass dieser „unehrlich“ gewesen sei. Erst im späteren Gespräch mit Hermine löst sich seine Spannung auf und er erkennt, dass er seine eigenen Begrenzungen auf Goethe projiziert hat. 

Von nun hat er eine Seelenführerin, die ihn über die Grenzen seiner bisherigen Persönlichkeit hinaus führt. Er muss nur ausführen, was sie ihm sagt. Die weitere Entwicklung Harry Hallers vollzieht sich beim Tanzenlernen und in der Liebe zu Maria, einer Freundin von Hermine. Der Traktat führt parallel dazu aus, dass Harry allmählich erkennt, wie sehr er sich seine Persönlichkeit eingebildet hat. 

Der dritte Bereich neben dem Tanzen und dem Sex ist seine strikte Ablehnung von Pablo und dessen Jazzmusik. Hier tut sich der Steppenwolf am schwersten, seine früheren Denkgewohnheit außer Kraft zu setzen. Doch auf dem Maskenball und beim Besuch des „Magischen Theaters“ am Ende der Ballnacht lässt Harry Haller seine Bedenken fallen und kann sich ein Stück weit Pablo anvertrauen, der nun die aktive Rolle eines modernen Mozart übernimmt. 

Doch Harry Haller ist noch nicht ganz in der Lage, sein altes Ich aufzugeben. In den verschiedenen Szenen des Magischen Theaters kommt zum Vorschein, dass er noch voll von Gewalt, Hass und Besitzstreben steckt. Er stößt an eine Grenze, die in seinem alten Steppenwolf-Ich begründet liegt. 

Immerhin hat Harry Haller in den zehn Monaten, die das Experiment dauert, vieles an sich erkannt und abgelegt, was zwischen ihm und der Wirklichkeit stand. Harry ist nun viel eher in der Lage, die Wirklichkeit unvoreingenommen wahrzunehmen. Wollte man die „Aufzeichnungen“ als Bericht über eine Therapie nach Carl Gustav Jung lesen, müsste man feststellen, dass die Therapie angeschlagen hat und der Patient seine Störungen zum Teil abgelegt hat. Er ist glücksfähig geworden. Eines Tages wird er gewiss auch zu seiner Ganzheit als Mensch und Künstler finden. Der versöhnliche Schluss der Aufzeichnungen gibt zu verstehen, dass Harry Haller zumindest erkannt hat, worauf es in seiner weiteren Entwicklung ankommen wird, nämlich darauf, die Distanz zu seinem Steppenwolf-Ich durch das Praktizieren des Humors zu verstärken. 

 

>> 2. Der Kommentar