Lesehilfen zum Glasperlenspiel - 2. Die Intentionen des Erzählers

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dpa meldet am 31.03.1935: Geheimnis um das Glasperlenspiel gelüftet

Wie man in eingeweihten Kreisen schon lange weiß, arbeitet der Dichter Hesse an einem neuen Buch mit dem ominösen Titel Das Glasperlenspiel. Niemand kann sich etwas Genaues darunter vorstellen. Wir berichteten darüber. Wie nun ein Freund Hesses aus Bern, der anonym bleiben möchte, aber zum engsten Kreis der Freunde Hesses zählt, glaubwürdig versichert, wisse man nun endlich, was das Glasperlenspiel in Wirklichkeit sei.

Von kleinem Wuchs und kahlköpfig, leicht kränkelnd und durchgeistigt, ist Josef Knecht  niemand anderes als der schwer an seiner Bürde als Dichter tragende Hermann Hesse selbst. Der anonym bleibende Freund des Dichters führt aus, dass Hesse sich schon seit drei Jahren mit ernsten Gedanken zum Glasperlenspiel trägt. Die Einleitung zu seinem Werk stehe nun schon fest.  Hesse habe sie schon drei Mal  überarbeitet. Aber den Hauptteil, Die Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht, bleibe er noch immer schuldig.

Hesse gestehe seinen Freunden mit einiger Verlegenheit, dass er noch auf den großen Durchbruch warte. Er klage sehr über die vielen Besucher aus Deutschland und dass seine Augen nicht mehr so richtig mitmachen würden. Doch man sei sich unter Freunden Hesses einig, dass das Problem von Hesses neuer Krise darin bestehe, dass er sich selbst im Weg stehe. Hätte er rechtzeitig erkannt, dass er selbst der Glasperlenspieler sei, von dem er schreibt, hätte Hesse mit dem bekannten Schwung sein Buch in weniger als drei Wochen fertig gestellt!

Der Freund aus Bern, der anonym bleiben möchte, führt aus, man müsse sich nur einmal Hesse in seiner großen Bibliothek vorstellen.  Wie er rastlos umhergeht und ein Buch nach dem anderen aus den Regalen zieht, sich Notizen für eine Besprechung macht und sich dann an seine Schreibmaschine Marke Adler setzt und die fertige Rezension in einem Atemzug und ohne Fehler in tadellosem Deutsch herunter schreibt. Man müsse sich an der Stelle der Bücher nur die Manuale einer großen Orgel vorstellen und schon könne man den Wahrheitsgehalt dieser Meldung aus Bern Glauben schenken.

 Natürlich spiele Hesse nicht nur mit den Büchern aus seiner Bibliothek und dem in vielen Jahren des eifrigen Studiums von Büchern aus aller Welt angehäuften Wissen. Wie man neuerdings auch aus Calw hört, und unter Hesse-Freunden schon lange gemunkelt wird, spiele er auch mit seinem gesamten bisher erschienen dichterischen Werk. Es sei doch klar, dass der Altmusikmeister eine neue Inkarnation des Fährmanns aus dem Siddhartha sei, Josef Knecht in unkontrollierten Augenblicken durchaus Züge des Harry Haller aus dem weltberühmten Steppenwolf  aufweise und nicht zuletzt eine neue Inkarnation des Narziss aus dem Roman Narziss und Goldmund darstelle. Hesse verstehe es meisterhaft, seiner eigenen Person immer neue Gesichter abzugewinnen. Es wäre ein interessantes Unternehmen, ihm, Hesse, alle diese Gesichter einmal wie Masken aufzusetzen und dann zu einer Debatte darüber einzuladen, welches dieser Masken den „eigentlichen Hesse“ darstellen würde!

An dieser Stelle wurde die Meldung im Radio aus Deutschland mit Sieg Heil! und der Ouvertüre zu Tannhäuser unterbrochen. Wir von der Schweizer Redaktion der Deutschen Presse Agentur bedauern es sehr, dass wir weitere von dem Berner Freund enthüllte, pikante Details, nicht rechtzeitig an die Öffentlichkeit bringen konnten, haben aber volles Verständnis für die Unterbrechung! Schließlich haben andere Dinge als die Probleme eines abseitigen Dichters unbedingten Vorrang im heutigen Großdeutschland.

© Johannes Heiner 2009

 

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