6. Stufen des Erwachens

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Fragt man sich, wie Hesse den Weg nach innen im „Glasperlenspiel“ ausführt, möchte ich auf meine Arbeit zu den Stufen des Erwachens von Josef Knecht verweisen. Der äußere Lebensweg Knechts wird charakterisiert durch das Erlangen der Würde des Glasperlenspielmeisters. Der innere Weg wird durch die Stufen des Erwachens ausgeführt. Es ist, wie wenn in bestimmenden Momenten des Erlebens von Josef Knecht ein Glöcklein läuten würde. Das Erleben Josef Knechts wird damit als eine weitere Stufe des Erwachens ins Bewusstsein der Leserin und des Lesers gehoben.

Josef Knecht ist also ein Erwachter und das Erwachen führt ihn ins Leben außerhalb von Kastalien. Er ist kein Held im klassischen Sinn des Wortes, sondern ein Frommer. Hesse hat die typischen Merkmal des frommen Menschens in der schon erwähnten Betrachtung aufgezählt. Am Schluss fügte er hinzu: Sollte er zwischen dem Leben des „Vernünftigen“ und des „Frommen“ wählen, würde er von sich behaupten, dass er in seinem Leben den Typus des Frommen verkörpert hat.

Zum Schluss noch eine Bemerkung zum abstrakten Stil des „Glasperlenspiels“, an dem sich viele Hesse-Leserinnen und -Leser stoßen. Sie wenden sich enttäuscht von Hesses größtem Werk ab, weil sie die psychologisch einfühlende Darstellung einer Heldenfigur vermissen. Manche Leserinnen und Leser denken vielleicht auch, es handele sich um den Altersstil des Meisters. Auf dem Hintergrund der Lebensläufe gesehen, ergibt sich ein anderes Bild. Hesse hat in den Lebensläufen nach dem wirklichen „Glasperlenspiel“ gesucht. Jeder neue Lebenslauf hat ihn der Darstellung von Kastalien näher gebracht. Die Niederschrift des kastalischen Lebenslaufs beginnt erst 1938. Das heißt, Hesse hat sechs Jahre lang experimentiert. Er hatte zwar 1934 die letzte Fassung der „Einleitung“ beendet. Doch nun erst setzte er mit der „Realisierung“ der Ideen aus der „Einleitung“ ein, indem er die Vorleben von Josef Knecht geschildet hat.

Der abstrakte, unpersönliche Stil ist eine Aussage an und für sich. Es ging Hesse nicht mehr um Psychologie und Selbstverwirklichung. Die hat er mit „Narziss und Goldmund“ (1930) hinter sich gelassen. „Die Morgenlandfahrt“ war ein Versuch in einer neuen Richtung, die ganz auf das Wesentliche der mystischen Erfahrung und Kontemplation konzentriert ist. Das Persönliche musste nun in Hesses Augen beiseite treten. Er sah mit Hitler die Grundfesten der Kultur erschüttert. Hesse fühlte sich herausgefordert, zum letzten Mal sein Bestes für den Fortbestand des „besseren Deutschlands“ zu geben.


© Johannes Heiner, November 2012