Rilkes Buddha-Gedichte

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Die Neuen Gedichte von Rilke beinhalten u. a. drei Gedichte zum Thema Buddha. Das dritte Gedicht mit dem Titel Buddha in der Glorie von 1908 bildet sogar den Abschluss der ganzen Sammlung. Mit den Neuen Gedichten, Erster und Zweiter Teil legte Rilke, sein in der Pariser Zeit entstandenes dichterisches Werk vor. Im Jahr 1910 wird noch der Malte folgen. Dann kommt schon der Krieg, der auch Rilkes Innenleben verwüsten und ihn lähmen wird. Die Buddha-Gedichte sind in der Zeit zwischen 1905 und 1908 entstanden, als Rilke engen Kontakt zu Rodin hatte.

Die folgende Darlegung fußt auf den Ergebnissen des Buches von Karl-Josef Kuschel. Kuschel ist Professor für katholische Theologie in Tübingen. Er arbeitet im Grenzgebiet zwischen Literatur, Mystik und Theologie. Er ist dem Dialog nachgegangen, den Rilke von 1903 an bis 1908 mit der Buddha-Figur geführt hat, die auf dem Grundstück von Rodin in Meudon stand; stand, denn diese Buddha-Figur gibt es heute nicht mehr. Kuschel hat viele Fragen geklärt, die mit dieser Figur zusammenhängen. Rodin hatte nicht nur die eine Buddha-Figur gekauft und aufstellen lassen. Er besaß insgesamt wahrscheinlich fünf Figuren, die sich durch die Handhaltungen voneinander unterschieden. Der Buddha auf dem Hügel in Meudon in Sichtweite von Rilkes Fenster war der Buddha Amitabha. Es ist die Bezeichnung für den Buddha der Versenkung (siehe Karl-Josef Kuschel, Rilke und der Buddha. Die Geschichte eines einzigartigen Dialogs. Gütersloher Verlagshaus 2010, Seite 82 ff. zu den Mudras. Dort auch zahlreiche dokumentarische Fotos.).

 

 

Das erste Gedicht von 1905


Buddha


Als ob er horchte, Stille: eine Ferne ...

Wir halten ein und hören sie nicht mehr.

Und er ist Stern. Und andre großen Sterne,

die wir nicht sehen, stehen um ihn her.


O er ist Alles. Wirklich, warten wir,

daß er uns sähe? Sollte er bedürfen?

und wenn wir hier uns vor ihm niederwürfen,

er bliebe tief und träge wie ein Tier.


Denn alles, was uns zu seinen Füßen reißt,

das kreist in ihm seit Millionen Jahren.

Er, der vergißt was wir erfahren

und der erfährt was uns verweist.

KA I, 462


Zusammenhänge

Die Form der vierzeiligen Strophe erinnert an die Gedichte aus dem Stundenbuch. Es war gerade erschienen. Das dritte Buch handelt von der Armut und vom Tod. Rilke hat darin seine schlimmen Erfahrungen des Lebens in der Großstadt Paris niedergelegt. Doch die Aussage dieses Gedichts ist anders gelagert, auch wenn das Gedicht der Form nach noch an Das Stundenbuch anknüpft. Es geht nicht um den kommenden Gott, sondern um das wohltuende Erlebnis der Stille. Sie war in Meudon reichlich vorhanden. Rodin lebte hier mit seiner Frau Rose Beuret, und Rilke war im Jahr 1905 häufig zu Gast. Rilke erlebte den Buddha in Meudon als Gegensatz zum Lärm der Großstadt Paris. Rodin, der große Bildhauer, wurde von Rilke als Meister gesehen. Rilke betrachtete sich als sein Schüler in Fragen des Neuen Sehens, wie Rilke die Entwicklung seines künstlerischen Schreibens nannte. Rodin war ein weiterer Stern, um den Begriff aus dem Gedicht aufzunehmen. ER war auch dann anwesend, wenn Rilke den großen Buddha betrachtete.

Man muss wissen, dass im Rodin-Park von Meudon diese lebensgroße Figur auf einem Hügel stand. Rodin hatte diese Figur im Anschluss an die Weltausstellung 1900 in Paris erworben und sie in seinem Garten aufgestellt. Er zeigte sie seinen Besuchern mit Stolz. Rodin hat nicht nur Antikes, sondern auch Japanisches gesammelt. Rilke hat von 1903 bis 1905 über diese Figur meditiert. Erst dann wagte er sich an die Niederschrift seines ersten Gedichts zu diesem Thema. Bemerkenswert dabei ist, dass er bis zu diesem Zeitpunkt keine Zeile buddhistischer Literatur gelesen hatte. Seine Frau Clara hatte ihm zwar die zweibändige Übersetzung der Reden Buddhas von Karl Eugen Neumann zugeschickt, doch er hat das Werk beiseite gelegt, wohl um seine eigenen Eindrücke reifen zu lassen (s. Kuschel, a.a.O. Karl Eugen Neumann als Brückenbauer, S. 29 ff.).


Der Text

Die erste Strophe baut einen Gegensatz zwischen dem Buddha und uns auf. Wir hören die Stille nicht mehr, die wir unser Leben in lauten Städten hektisch verbringen. Der Anblick der Buddha-Statue zwingt uns zum Anhalten und Atemholen. Das Innehalten löst einen Bewusstseinsstrom aus, den Rilke mit dieser Strophe in wunderbare Worte fasst.

Verwunderlich das Wort Ferne in der ersten Zeile. Es mutet wie eine Zielangabe an. Die Stille wird mit der Ferne verbunden. Es hängt mit den großen Ohren des Buddha und seiner inneren Haltung des Lauschens in die Stille zusammen. Das Bewusstsein des Buddhas ist auf Weite gerichtet.

Die zweite Strophe setzt den Gegensatz Stille - Lärm auf anderer Ebene fort. Mit Stern, schon in der ersten Strophe angedeutet, nimmt sie den kosmischen Bezug auf und bekräftigt ihn. O er ist Alles. Wirklich Deutlicher kann der Dichter nicht werden. Der Buddha verkörpert alles, was die Würde des Menschseins ausmacht. Der einzelne Mensch, auch der Buddhist, lässt ihn, den Buddha, gleichgültig. Das Wort Tier hat für Rilke eine andere Bedeutung als für uns heute. In der achten Elegie heißt es: Mit allen Augen sieht die Kreatur/ das Offene./ Nur unsre Augen sind/ wie umgekehrt und ganz um sie gestellt / als Fallen, rings um ihren freien Ausgang. Das freie Tier trägt noch die ursprüngliche Unschuld des einfachen Lebens in sich. Die Menschen in ihrer jetzigen Entwicklung haben den Sprung in die dritte Ebene der Anmut noch vor sich (mehr dazu in meinem Buch Wege ins Dasein S. 141 ff). Nimmt man die mitschwingende negative Bedeutung aus dem Wort Tier heraus, macht es durchaus Sinn, die kraftvolle Unverrückbarkeit des Buddhas, wie er in der Stille dasitzt und in die Ferne lauscht, damit zu bezeichnen.


Botschaft

Die dritte Strophe fasst zusammen. Der Buddha übersteigt unsere menschliche Erfahrung, die am Ungefähren und Äußerlichen hängen bleibt. ER versinnbildlicht das Übersteigende, das uns versagt ist, solange wir an der Verehrung von Idolen festhängen. Man beachte die Formulierung mit reißt und kreist. Sie unterstreicht lautmalerisch die Kontrastierung der Prozesse der niederwerfenden Anbetung und der sich vollendenden Göttlichkeit in der Buddhaschaft des erleuchteten Menschen. Buddha kennt, was wir erst erfahren werden, die große Stille des Kosmos. Uns wird sie erst zugänglich, wenn wir den Buddha in uns erfahren. Der Begriff dafür ist Buddhaschaft. Sie ist im Innern eines jedem Menschen als ewiger Kern vorhanden.

Wie gesagt, Rilke schrieb sein Gedicht aus der Anschauung des Buddha Amitabha heraus. Man sollte das Gedicht nicht als Beleg für die Weltanschauung des Dichters lesen. Er war kein Buddhist im Sinne einer Anhängerschaft. Er hat aber das Große erspürt, das mit dieser Figur ausgesagt ist.

 


Das zweite Gedicht von 1906


Buddha


Schon von ferne fühlt der fremde scheue

Pilger, wie es golden von ihm träuft;

so als hätten Reiche voller Reue

ihre Heimlichkeiten aufgehäuft.


Aber näher kommend wird er irre

von der Hoheit dieser Augenbraun:

denn das sind nicht ihre Trinkgeschirre

und die Ohrgehänge ihrer Fraun.


Wüßte einer denn zu sagen, welche

Dinge eingeschmolzen wurden, um

dieses Bild auf diesem Blumenkelche


aufzurichten: stummer, ruhiggelber

als ein goldenes und rundherum

auch den Raum berührend wie sich selbst.

KA I, 489


Ganz anders als im ersten Gedicht mit seinem direkten Zugang zum Buddha, nähern wir uns der Figur in der Rolle des Pilgers. Rilke hat die Annäherung des Pilgers an die Buddha-Statue in die Form des Sonetts gegossen. Das erste Quartett unterstreicht die fromme Gutwilligkeit des Pilgers in Sichtweite des Heiligtums. Uns entgeht dabei nicht das Spiel mit den Wörtern, dem dreimaligen f in der ersten Zeile, die dritte Zeile mit ihrem stabreimenden r. Sie machen den Sprachfluss geschmeidig und unterstützen sprachlich das Stauen, das sich des Pilgers bemächtigt.

Das zweite Quartett schildert die weitere Annäherung des Pilgers. Die Hoheit dieser Augenbraue passt nicht ins gewohnte Bild, der Pilger muss sich erst einmal darüber klar werden. Es wird eine geistige Öffnung von ihm verlangt, die er nicht so ohne Weiteres geben kann. Er beschränkt sich deshalb auf eine Frage, die Frage nämlich, woher wohl das viele Gold stammen mag, das in die Statue eingegangen ist.

Die beiden Terzette setzen neu ein. Das erste Terzett nimmt die Frage aus dem letzten Quartett auf. Die Buddha-Figur in Meudon sitzt auf einem Blumenkelch. Rilke hat das Wort von der Vorlage übernommen. Das zweite Terzett (die vierte Strophe) schließt diesen Prozess ab. Der Pilger stellt fest, dass die goldene Statue Schwingungen von Ruhe und Sammlung an den umgebenden Raum ausstrahlt.

Interessant ist die Lektüre der beiden Gedichte hintereinander. Dann füllt sich das Bild auf diesem Blumenkelch mit der Erinnerung an das erste Gedicht. Der Leser bzw. die Leserin dieser Zeilen mag es bei sich selbst überprüfen. Bei mir stellt sich als Erinnerungsbild keine äußere Darstellung der Haltung ein, wie sie auf den üblichen Buddha-Götzen-Darstellungen zu sehen sind. Es stellt sich vielmehr ein innerer Gedanke an Ruhe und Sammlung ein. Beide Gedichte ergänzen sich. Mit dem dritten Gedicht wird die Vergegenwärtigung des Buddha um eine dritte Dimension bereichert. Sie gelten aber nicht der Darstellung eines Idols, sondern der Vergegenwärtigung des göttlichen Selbst im Menschen.



Das dritte Gedicht von 1908


Buddha in der Glorie


Mitte aller Mitten, Kern der Kerne,

Mandel, die sich einschließt und versüßt, -

dieses Alles bis an alle Sterne

ist dein Fruchtfleisch. Sei gegrüßt.


Sieh, du fühlst, wie nichts mehr an dir hängt;

im Unendlichen ist deine Schale,

und dort steht der starke Saft und drängt.

Und von außen hilft ihm ein Gestrahle,


denn ganz oben werden deine Sonnen

voll und glühend umgedreht.

Doch in dir ist schon begonnen,

was die Sonnen übersteht.

KA I, 586 Letztes Gedicht aus den Neuen Gedichten


Wer von der Kenntnis der beiden früheren Gedichte herkommt, ist vorbereitet. Schon das erste Buddha-Gedicht hatte die Buddhaschaft als Mitte des Universums bezeichnet. Rilkes Vision ist, dass alle heiligen Dinge dieser Welt, die Malerei der italienischen Renaissance, die russische Ikonenmalerei, die gotische Baukunst, diesem Mittelpunkt von innen her zustreben. Der zweite Vers der ersten Strophe formuliert diese Sichtweise: Mandel, die sich einschließt und versüßt und weitet dieses Bild ins Kosmische - dieses Alles bis an alle Sterne / ist dein Fruchtfleisch. Sei gegrüßt.

Die Mandel ist eine Grundfigur für die Vollendung des Göttlichen im Irdischen. Im Begriff Mandorla ist die Mandel mit enthalten. Man erinnert sich an den verklärten Christus in der Mandorla an den Portalen in Chartres und Paris. Nun tritt Buddha an seine Stelle.

Nach dieser Apotheose des Buddha in den ersten drei Zeilen wirkt die letzte Zeile Sei gegrüßt ziemlich verblüffend. Es gibt keinen Pilger mehr, der sich dem Buddha in Demut nähern würde; es gibt keine Reue mehr für irgendwelche Sünden; es gibt nur noch ein aufgerichtetes Du, das dem göttlichen Nicht-Ich gegenübertritt. Aus diesem Gegenübertreten auf Augenhöhe spricht ein Dichter-Pilger Rilke, der davon überzeugt war, dass es darum geht, nicht Anhänger einer Religionslehre zu sein, sondern sie in sich selbst zu verwirklichen und dadurch unabhängig zu bleiben.

Die zweite und die dritte Strophe knüpfen in der Wahl der Metaphern an die erste an und vollenden sie. Dabei verlagert sich die Aufmerksamkeit auf das mit dem Unendlichen Gemeinte. Das Sein, von dem der Buddha Zeugnis gibt, ist nicht das materielle, sondern das geistige kosmische Sein. Man denke hier an den Begriff des Unsichtbaren in seiner für das Spätwerk von Rilke tragenden Bedeutung. Die Dichter sind die Bienen des Unsichtbaren. Sie verwandeln in ihrer Dichtung und Kunst die sichtbare materielle Welt in die unsichtbare geistige. Die Sonnen gehören noch der physischen Welt an. Doch was sich im Innern des Buddha (in dir!) ereignet, trägt das Gepräge der Zeitlosigkeit.

Die letzte Strophe führt uns in diesen Prozess der Übersteigung hinein. Gemeint ist der Prozess, in dem erwachte Menschen die Buddhaschaft (das höhere Selbst, den Seelengrund, das lautere Nichts) in sich selbst verwirklichen. Buddhaschaft ist ein Begriff für die göttliche Potenz, die in jedem Menschen angelegt ist. Die Nachfolge von Christus in der Verklärung ist ein anderer Begriff dafür. Rilke steht in seiner Auffassung von Religion über den Parteien. Karl Josef Kuschel hat dies in seinem anfangs erwähnten Buch (S.133 ff.) mit der wünschenswerten Klarheit herausgearbeitet. Die vierte Strophe deutet also auf diesen Prozess in einer mystisch gefärbten Sprache. Ohne die innere Umkehr (umgedreht) ist die Buddhaschaft nicht zu haben. Und der zweite Gedanke: Dieser Prozess der Übersteigung zielt auf die Teilhabe an dem, was der Mensch als das unsichtbar Bleibende des Seins in der Versenkung erfährt.

© August 2014 Johannes Heiner