Frühling ist wiedergekommen.

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Deutung

Ich komme gerade von der zusammenstellung einer übersicht über frühlingsgedichte und habe mich selber an dem thema versucht. Jeder mensch hat sein eigenes frühlings-erlebnis. Es mag der gesang der lerche sein, der geruch des seidelbastes, wie er noch im schnee steht, der veilchen-teppich vor dem haus oder anderes. Gemeinsam ist diesen erlebnissen, dass sie uns aufscheuchen, aufhorchen, aufsehen lassen. Mit dem frühling beginnt recht eigentlich erst das neue wachstums-jahr. 

Rilke hat das überraschende und poetische des frühlings in die gedichte hinein gelegt, die von der erde als dem kind "gewusst" werden. Kinder, die gedichte aufsagen, ist in der tat jene anmut eigen, die Rilke der Erde bei ihrem erwachen im frühjahr andichtet. Natürlich können kinder ein gedicht auch herunter leiern. Aber eigentlich passiert dies nur, wenn die erwachsenen sie dazu zwingen. 

Und nun der winter. So wie der frühling von Rilke zu einem menschlichen wesen gemacht wird und die neugeborene erde zu einem kind, so auch der winter zum schneemann. Es ist ein konventionelles bild, das ist richtig. Der schneemann wird aber aus der sicht des kindes gesehen. Das ist das besondere. 

Das erste terzett entfaltet das bild der erde als eines frohen kindes. Wie schön das da steht und wie anmutig. Ein gedanke an die "duineser elegien" kommt nicht auf. Der dichter hat sich schon einigermaßen davon entfernt. Die erde als kind "weiß" es einfach. Sie muss es nicht mitteilen und schon gar nicht in schwierigen sätzen kompliziert-komplex ausdrücken. Sagen wir, dass es dem dichter Rilke mit seinen "Sonetten an Orpheus" wie der erde im frühjahr geht: er hat frei und kann nun endlich "mit den kindern spielen". Er ist "fröhlich" gestimmt - das ist eine rarität im blumengarten der poesie von Rilke. 

Das zweite terzett beeindruckt mit dem bild von der in den wurzeln und im stamm sozusagen aufbewahrten weisheit. Da liegt die kraft verborgen. Sie ist aber auch bereit zu neuem aufschwung. 

Johannes Heiner am 2. April 2004

"Frühling ist wiedergekommen - die Erde..."


Ein seltenes Mal wird von Rilke nicht der Himmel oder die Sterne, oder der Engel, sondern die Erde in ihrer fruchtbaren Positivität zum Thema gemacht. Es lohnt sich, einen Blick auf Rilkes Erde zu werfen. Es ist überraschend, mit wieviel Liebe der Dichter seine Erdverbundenheit zu Ausdruck bringt. 

Da ist zunächst die Freude darüber, dass der Frühling den Kampf mit dem Winter gewonnen hat. Die Freude ist so groß, dass der Dichter den Frühling als Person auftreten lässt. Wie ist diese Person beschaffen, so fragt sich die LeserIn? Wir erfahren es gleich in der nächsten Zeile. Voller Wunder ist sie für das Auge des Menschen. Hervorgebracht werden diese Wunder von der mütterlichen Erde. Sie wird wegen ihrer Wunderbarkeit mit einem Kind verglichen, das Gedichte auswendig kann und den Erwachsenen damit eine Freude bereitet. Die "Beschwerde langen Lernens" spielt auf den Winter an, der im Vorfrühlung durchaus noch anwesend ist. Es wird damit auch die zweite Strophe vorbereitet. Der Winter tritt jetzt als strenger Lehrer und alter Mann auf. Die Menschen werden im Anklang an das erste Quartett als "Kinder" gesehen. Nun sie der Herrschaft des "Winters" entronnen, dürfen sie sich frei bewegen und unbequeme Fragen stellen. Die Kinder fragen nach den Farben des Frühlungs. Die Farben des Frühlings sind die Farben der Erde: grün, und die Farbe des Himmels: blau. Da haben wir ihn doch wieder, den Himmel. Er darf in keinem Gedicht von Rilke fehlen. Die letzte Zeile des zweiten Quartetts "sie kanns, sie kanns!" bezieht sich auf die grünende Erde. Sie beantwortet alle Fragen, indem sie ein Wunderwerk der Natur nach dem anderen produziert. Erst sind es die Viellchen, die von einem Tag auf den anderen aus dem Boden schießen und ihre Köpfchen erheben; dann die Buschwindröschen im Unterholz des Waldes; schließlich der gelbe Löwenzahn auf den Wiesen unter den blühenden Kirschbäumen. Hervorgehoben wird mit "sie kanns, sie kanns!" allerdings nicht in erster Linie die Farbenpracht, sondern die Leichtigkeit in den Hervorbringungen des Frühlings. 

Die beiden Terzette stehen eben so zusammen wie die beiden Quartette des Sonetts. Die Freude über das Wiederkommen des Frühlings erfährt eine neue Akzentuierung. Die Erde hat den Kampf mit dem Winter bestanden. Sie hat "frei" - und kann sich in glücklicher Muße dem freien Schaffen hingeben. Wo der Mensch spielt, wird er zum Kinde. Und schon sind wir als fröhliche Kinder unterwegs mit dem Frühling und spielen Fangen mit ihm. Die letzte Zeile "sie singts, sie singts!" wirkt wie ein Echo auf die lezte Zeile des zweiten Quartetts. Das Spielerische und Leichte in den Hervorbringungen des Frühlings wird hier ein weiteres Mal unterstrichen. 

Zum Schluss eine Bemerkung über Rilkes veränderte Weltsicht im Vergleich mit den "Duineser Elegien""Kinder" sind öfters mal Thema in den Elegien. Zum einen wird beklagt, dass sie von den Erwachsenen und für deren Zwecke "umgedreht" würden - eine Sichtweise, die Rilke mit den Auffassungen der Reformpädagogen teilt, ob sie nun Ellen Key ("Das Jahrhundert des Kindes") oder Maria Montessori (das Kind ist von sich aus gut) heißen mögen. Das Bewusstsein des Kindes wird vom Dichter der Elegien zum anderen Träger der Hoffnung auf Heilung. Wie bei den Themen der Tiere und der Liebenden geht es Rilke in den Elegien ja um die Rühmung des Daseins. 
Seine Rühmung bleibt in den Elegien aber dem Ernst verhaftet. Manchmal wandert "das Lächeln" als Thema durch die Zeilen der Elegien. Der Ton der Elegien bleibt aber ernst und melankolisch. Der Dichter der Elegien scheint noch weit davon entfernt, selbst ein Kind der Erde sein zu können. 
Anders dieses Sonett. Es lächelt uns an - und wir stimmen ein und lächeln zurück. "Dem Frohsten gelingts". Die Mühsal des Ausharrens im Leiden bleibt nur als Erinnerung im Wurzelwerk der Bäume und in den"langen schwierigen Stämmen" zurück. 

Johannes Heiner am 1. Mai 2004